Ein Querschnitt durch das Schaffen mit Holz
Hochparterre | 03.08.2022
Daniel Jauslin
Noch bis 30. Oktober zeigt das Zentrum für Architektur Zürich ZAZ die reichhaltige Schau «Touch Wood». Auch versierten Holzbauenden bleibt darin und im Buch dazu manches zu entdecken.
Mit der sorgfältig kuratierten Ausstellung «Touch Wood» greift das Zentrum für Architektur Zürich ZAZ am Zürcher Bellerive ein aktuelles Thema auf – und ein vielseitiges. Es wird unterhaltsam und informativ besipelt mit vielen abwechselnden Registern. Auch versierte Holzbauende entdecken dabei noch so einiges, wozu nicht zuletzt der Büchertisch mit grosser Literatursammlung und die Publikation «Touch Wood» beitragen – sie ist eigenständig konzipiert und bietet eine breite Auswahl von Autorinnen und Autoren.
Schon am Seeufer begegnet das Holz den Flanierenden in Form eines roh geschnitten, aufgestapelten Baumstammes und eines Wegs aus ins Gras gelegten Bohlen. Die Bäume vor gehörten ebenfalls zur Ausstellung, erklären die Kuratorinnen Celina Martinez-Cañavate, Carla Ferrer und Thomas Hildebrand. Im Innern wartet eine Schau zum Anfassen, wie es der Titel verspricht. Selbst Zufallsfunde wie ein Stapel aus der Mode gekommenes Holz wurden zum Ausstellungsobjekt – nicht nur aus Spass, sondern um eine von zehn Schlussfolgerungen des Teams zu unterstreichen: Nämlich, dass es nötig sei, mehr Holzarten gemäss ihrer Eigenschaften zu nutzen.
60 Architekturmodelle aus Holz
Wie eine Wunderkammer des 19. Jahrhunderts ist die Modellausstellung eingerichtet, wo sich 60 Holzmodelle im offenen Regal zwei- bis vierlagig stapeln. Das Material beschäftigt die weiterdenkende Architektur seit der Postmoderne. Bauten von Herzog & de Meuron, Burkhalter Sumi und Meili Peter aus den späten 1980er und frühen 1990er-Jahren holten das Holz aus der heimeligen Ecke in die Gegenwart. Besonders ins Auge stechen ein neueres Arbeitsmodell als materialbasierte Konstruktionsskizze von Herzog & De Meuron und das einer Geige ähnelnde Modell des in den nächsten Jahren von Astrid Staufer fertigzustellenden Projekts Klanghaus im Toggenburg, Nachlass ihres Mentors Marcel Meili. Eindrücklich, wieviel Unterschiedliches die Modelle ausdrücken – nur etwas ungewohnt, dass man alle Referenzen dazu im Prospekt oder mittels Code auf dem Smartphone nachlesen muss.
Auch Mockups demonstrieren die hölzerne Vielseitigkeit, etwa glasfaserverstärkte Knoten oder komplex geformte Teile des Swatch-Neubaus in Biel von Shigeru Ban. Spannend ist die Umkehrung des digitalen Fabrikationsprozesses, um die natürlichen Wuchsformen optimal zu nutzen – dafür steht in der Ausstellung ein Bogenelement, das an der EPF Lausanne aus sonst kaum verwertbarem Holz zusammengestellt wurde. Stämme kleiner Bäume wurden einscannt und in Computer- Modellen zusammengesetzt. Mit AI-Software optimal assortiert, wurden sie als Flachbogen mit präzise gefrästen Verbindungen effizient zusammengestückelt. Das experimentelle Patchwork fand zwar keine Anwendung, fasziniert aber als 1:1 Modell. Dazu passt eine andere Forderung der Verfassenden: Entwerferische ebenso wie digitale Intelligenz einzusetzen, um kein Material zu verschwenden.
Produktionsbedingungen und Wachstumstöne
Das «Backwards Engineering» in Holz – also der Entwurfsprozess ausgehend vom rohen Baum – zeugt von der ausgeprägten Digitalisierung des Sektors. Der hohe Grad an Vorfabrikation und die dadurch möglichen kurzen Bauzeiten sind neben dem lokalen Angebot an kleinen, oft über Generationen familiengeführten Unternehmen ein wichtiger Vorteil des Holzbaus gegenüber schmutzigen, schwerindustriellen Stahl- und Betonmonopolen. Sogar diesen Aspekt des Holzbaugewerbes vermittelt die Schau durch einen Fotoessay von Stephan Rappo über ein Ostschweizer Familienunternehmen – inklusive Schwarzweiss-Foto aus dem Familienalbum von einer Aufrichte mit dem zimmerndem Urgrossvater. Im oberen Stock stösst man ausserdem auf Stücke aus der forstwissenschaftlichen Sammlung des WSL Birmensdorf, auf in Lehm konservierte prähistorische Bäume – und auf Holz- Arbeiten zeitgenössischer Kunstschaffender. Schliesslich macht Markus Maeder in einer elektroakustischen Installation mit wiegenden Kartonrohren die Baumforschungsdaten von Roman Zweifel hörbar. Wir hören den Bäumen beim Wachsen zu und lernen, dass sie lieber nachts wachsen.
Die lustvolle Schau macht Freude beim Betrachten, ohne je seicht zu werden. Zum Abschluss stellen die Kuratorinnen einen mit Diagrammen bedruckten Tisch aus, der aus unterschiedlichsten Forschungsdaten zusammengetragene Ergebnisse wiedergibt, die für ein nachhaltiges Architekturschaffen wertvoll sind. In diesen scheinbar kleinen Teil der Ausstellung sei viel der weitgehend freiwilligen Arbeitszeit der Kuratorinnen geflossen, berichten sie – vermutlich gilt dasselbe für das umfangreiche Buch.