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Mut zur Lücke

Modulor | #3/2025

Theresa Mörtl

Einen Hauch Japan zieht nun in Basel ein: Sowohl formal als auch gestalterisch orientiert sich das Wohnhaus von Hildebrand Studios am Städtebau und an der Architektursprache im Fernen Osten. So passt sich der Ersatzneubau optimal in die schmale Baulücke ein und nutzt dabei das erlaubte Volumen vollumfänglich aus. Dennoch steht das prägnante Holzhaus bei weitem nicht im Schatten seiner beiden Nebenbauten: Denn mit seiner unkonventionellen Fassadengestaltung sowie seiner kontrastreichen Farbgebung hebt sich das Gebäude deutlich von der introvertierten Fassadenfront der Zürcherstrasse ab.

Bis vor kurzem füllte ein zweigeschossiges Wohnhaus mit rückwärtig angegliederter Werkstatt noch die schmale Parzelle an der Zürcherstrasse in Basel aus. Mit dem Wunsch, mehr Wohnraum zu schaffen, vertraute die Bauherrschaft die Planung des Neubaus im Direktauftrag dem Architekturbüro Hildebrand Studios an, mit welchem die Zusammenarbeit bereits bei anderen Projekten erprobt wurde. Inspiriert von japanischen Vorbildern, die bekannt für die Bespielung kleiner Baulücken im städtischen Gefüge sind, wurde ein schmales, sechsgeschossiges Wohnhaus entwickelt. Dieses reagiert nicht nur optimal auf die geringe Breite des Grundstücks, sondern nimmt zudem auf die äusseren Einflüsse wie den Strassenlärm oder den Sonneneinfall Rücksicht. Mit einer auf den ersten Blick etwas unkonventionellen Lösung und (Grundriss-) Gestaltung konnte das Maximum aus dem beschränkten Platzangebot herausgeholt und vor allem aufgezeigt werden, dass weniger demnach definitiv doch auch mehr (Qualität) sein kann.

Lücken finden

Gesetz ist Gesetz – Baugesetze regeln dabei, was jemand wie bauen darf. So werden nicht nur einheitliche Rahmenbedingungen für alle geschaffen, sondern auch die Sicherheit, die Gesundheit sowie das Stadtbild geschützt. Dennoch schränken zu strenge Bedingungen oftmals derart ein, dass Planer:innen unzählige Hürden in den Weg gelegt werden und das Voranschreiten von Bauprojekten zum schier unlösbaren Vorhaben wird. Davon konnten auch die Architekt:innen bei diesem Projekt wahrlich ein Lied singen: Der Ersatzneubau sollte eine nur knapp über 8m breite Lücke im Blockrand zwischen zwei unmittelbar anschliessenden Nachbarhäusern füllen. Doch aufgrund der hohen Lärmbelastung durften an seiner sonnigen Strassenfassade keine Wohnräume verortet werden. Wenn diese nun jedoch an die Gebäuderückseite verlagert worden wären, wäre der Blick auf einen ruhigen Hinterhof mit Garten gewährleistet, aber dafür kein direktes Sonnenlicht möglich. Ein Dilemma, das zu Beginn wortwörtlich die Schattenseite strenger Baugesetze aufzeigte. Doch dass der einfachste Weg nicht immer der beste ist, wird hier ebenso ersichtlich: Umzudenken, über den Tellerrand hinauszuschauen und zudem Neues zu wagen, machen letztlich die Qualitäten des unkonventionellen Projekts aus, die ohne diese rechtlichen Stolpersteine nie in dieser Art entstanden wären. 

Keep It Simple

Während die Konzeption des neuen Holzbaus sich schwieriger gestaltete, ist dessen statisches System umso einfacher und pragmatischer. Sein simples Holztragwerk erlaubt nicht nur Flexibilität, sondern wird zugleich zu einem Hauptgestaltungsmerkmal – innen und aussen. Zwölf durchlaufende Holzstützen als primäre Struktur und ergänzt mit weiteren Massivholzträgern halten das Gebäude. Auf Letzteren liegen die im Wohnraum sichtbaren Brettstapelholzdecken, die mit Fugen ausgeführt wurden, was für eine einheitliche Strukturierung sorgt und die Materialität bewusst betont. Das Aufstellen des Wohnhauses erfolgte dabei geschossweise, wofür die vorgefertigten Bauteile nach und nach in die Baulücke gesetzt wurden. 

In Holz präsentiert sich jedoch nicht nur der tragende Rahmen, sondern zudem die Infrastruktur im Gebäudezentrum: Diese nimmt das Bad und die Küchenzeile auf, bietet Stauraum und versteckt den innenliegenden, vertikalen Erschliessungsstrang. Die Liftanlage – ebenfalls mit einem Holzschacht realisiert – führt direkt in die Privaträume und spart vor allem ein platzraubendes Treppenhaus ein, wodurch Wohnfläche gewonnen wurde. Gleichzeitig strukturiert der Aufzug mit seiner mittigen Positionierung den ansonsten offenen Grundriss beidseitig, zur Strasse und zum Hof, in wohlproportionierte Räume. Der rundlaufende, barrierefreie Wohnraum zeichnet sich, wie der Rest des Baus, ebenso durch Einfachheit, Natürlichkeit und schlichte Eleganz aus. 

Unbehandelte Holzoberflächen aus Fichte und Tanne, roh belassener Sichtbeton und ein heller, geschliffene Anhydritboden spiegeln das Konzept der Reduktion in den rund 80 m2 grossen Studios ab und verleihen den durchgesteckten Wohnungen eine Wohlfühlatmosphäre. Die Küchenzeile hebt sich mit einem dezenten Hellgrün farblich von den hellen Naturtönen ab, setzt mit der Küchenplatte aus Edelstahl wahrhaftig reflektierende Highlights und glänzt darüber hinaus mit von den Architekt:innen designten Handgriffen. Ebenfalls präsentiert das Badezimmer einen farbkräftigen Hingucker: Blaue, quadratische Fliesen kleiden den klein gehaltenen Sanitärraum und schaffen dabei den Anschein, als taucht man ins kühle Nass ein.

Inside Out

Das Konzept der Einfachheit wird auch in der äusseren Erscheinung fortgeführt, die die Architekt:innen mit einfachen Mitteln und klassischen Elementen aussergewöhnlich in Szene setzten. So wird die skulpturale Aussentreppe an der Strassenfassade zum markanten und prägenden Aushängeschild für die Landmarke. Diese ist das Ergebnis der smarten und kreativen Auslegung des Basler Baurechts: Laut diesem darf ein Drittel der Fassadenlänge über die Baulinie hinausragen und als Erker oder Balkon genutzt werden. Die realisierte offene Aussentreppe stellt nicht nur das charakteristische Erscheinungsbild des Ersatzneubaus, sondern insbesondere das verbindende Element der fünf Wohnungen des Townhouse untereinander dar und nimmt den notwendigen Fluchtweg auf. Zudem ist sie mehr als die Verbindung von unten nach oben: Die vertikale Erschliessung aus feuerverzinktem Stahl schafft differenzierte Zonen, die mit dem Grad der Öffentlichkeit spielen. Von den privaten Räumen im Inneren über Schnittstellen mit den öffentlicheren Bereichen zur Zürcherstrasse und zum Park hin sowie Begegnungsflächen für die Mietenden dazwischen, die auch durch die offenen Gittertritte unterstrichen werden. 

Doch trotz diesem immer wiederkehrenden Bezug zum Strassenraumnimmt das aussen liegende Treppenhaus die Wohnräume von der Strasse weg, bildet eine Art Pufferschicht und schützt die Bewohner:innen somit von störendem Strassenlärm. 

Dank der Durchlässigkeit der Treppe auf der Südseite kommen die Mieter:innen weiterhin in den Genuss von direktem Tageslicht, das die Innenraumnischen zu beiden Seiten der Treppe zu atmosphärischen kleinen Ecken wandelt. Diese gewährleisten vor allem helle Aufenthaltsorte, die sich vom restlichen Raumkontinuum abgrenzen, sich als Arbeitsort anbieten sowie den Eingangsbereich aufnehmen. 

Hingegen orientieren sich die privaten Aussenräume einer jeden Einheit in Richtung Norden und erweitern den kompakten Wohnraum zum ruhigen, privateren Innenhof hin. Dort ist nicht nur die Präsenz der Roche-Türme deutlich wahrzunehmen, sondern vielmehr auch ein einmaliges Panorama über die facettenreiche Dachlandschaft des Quartiers zu bestaunen. Dank der raumhohen Fensterfront kann dieser spannende und insbesondere detailreiche Ausblick selbst vom Bett aus genossen werden. 

Noch mehr Ausblicke und privaten Aussenraum – sogar mehr als Wohnfläche insgesamt – bietet die Maisonettewohnung zuoberst, die einen zweiten Balkon in Richtung der Zürcherstrasse erhalten hat und damit einen Bezug zu der Verkehrsachse schafft. Die Orientierung und die Öffnung zum Strassenraum sind zudem im Erdgeschoss ein Thema, das eine gewerbliche Nutzung aufnimmt und somit den Diskurs mit dem öffentlichen Raum fördert. Einen Rückzugsort erhält das Parterre analog zu den Wohneinheiten und verfügt über eine Gartenterrasse im Innenhof.

Weniger ist mehr

Begegnungen, Austausch sowie zugleich die Abgrenzung nach aussen hin sind im multikulturellen Basel aufgrund der Lage im Dreiländereck zentrale Themen. Neben den Einflüssen der angrenzenden Nachbarn erhält die Stadt am Rhein nun auch einen asiatischen Touch, den der Ersatzneubau formal als auch gestalterisch in die Zürcherstrasse bringt. Eine Designsprache, die nicht einfach dem Zufall geschuldet ist: Denn sowohl der Architekt Thomas Hildebrand als auch die Bauherrschaft teilen die Faszination für das Land im Fernen Osten. Neben dem Bauen in engen Lücken – was den japanischen Städtebau auszeichnet – knüpft das Holzhaus auch in seiner Gestaltungssprache an die Ästhetik japanischer Architektur an. Die schlichte und kontrastreiche Farbkombination, die rohen Texturen und die bewusst in Szene gesetzten Ausblicke sprechen hier eine eindeutige Sprache. Doch ebenso in der Wohnkultur orientiert sich der Neubau an seinem asiatischen Vorbild: Die reduzierten, aber nicht weniger behaglichen Wohnungen richten sich insbesondere an Menschen, die einen minimalistischen Lebensstil verfolgen und ihr Hab und Gut dementsprechend sehr überschaubar behalten. Hier wird die Einfachheit gelebt und geliebt sowie der Mut zur Lücke – ob im Hausrat, im Kleiderschrank oder eben auch in Bezug auf den schmalen Bau – gross geschrieben.