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Holz anfassen – Ausstellung im ZAZ Zürich

werk, bauen+wohnen | 7/8.2022

Roland Züger

Für das klimaneutrale Bauen empfiehlt sich Holz als Material nicht erst, seit die Klimajugend Dringlichkeit auf den Strassen eingefordert hat. Mit Holz wird heute in allen Lagen gebaut, nicht mehr nur auf dem Dorf oder in der Landschaft, sondern auch in städtischer Umgebung. Und der Holzbau mache vor keiner Typologie mehr Halt. Eine Ausstellung im ZAZ Bellerive in Zürich nimmt die aktuellen Tendenzen in den Blick und öffnet die Perspektiven. Denn eines ist klar: Wenn mehr als die Hälfte des in der Schweiz verbauten Holzes derzeit aus dem Ausland stammt - Kiefer aus Finnland, verleimte Platten aus der Steiermark-, dann stecke irgendwo der Holzwurm drin. Aufgrund von Logistik- und Personalengpässen sind seit der Corona-Zeit die Preise für Holz durch die Decke gegangen. Wer ein Haus aus Holz bauen möchte, reserviere die Bäume dafür besser gestern als morgen, so kolportieren es viele Architekturschaffende.

Doch Holz ist nicht nur aus der Sicht des Bauens interessant. Das kuratorische Team mit Carla Ferrer, Thomas Hildebrand und Celina Martinez-Cañavate beleuchtet das Material von verschiedenen Seiten. Dabei kommen auch kulturhistorische Aspekte nicht zu kurz, insbesondere im Buch, das die Schau begleitet.

Welches Holz, welcher Baum?

Rahmen und Auftakt der Ausstellung könnten idyllischer nicht sein, betritt man doch für einmal die Villa direkt vom Sec her über den Parkeingang. Hier bilden stattliche Bäume wie Blutbuche, Birke und Rosskastanie ein lauschiges Entree. Für die Dauer der Ausstellung geselle sich eine aufgeschnittene kroatisch Eiche dazu und signalisiert die internationalen Verästelungen der Holzindustrie.

Im Gebäude selbst widmet sich die untere Etage der Verwendung von Holz in der Architektur, die obere dem Holz als Ressource. Rechts des Eingangs empfängt ein riesiges Regal mit über fünfzig Modellen aktueller Projekte die Besuchenden. Die Auslegeordnung zeigt, «was gerade in den Köpfen der Architekturschaffenden passiert», erklärt Thomas Hildebrand. Die kleine Werkschau offenbare, wie sehr das Material im Vormarsch ist.

Auf der gegenüberliegenden Seite wird ebenfalls in zahlreichen Modellen sichtbar, wie das Ingenieurwesen die Leistungsfähigkeit von Holz erweitert. In hybriden Konstruktionen erweitere Holz das Spektrum seiner Eigenschaften. Das übersteigt heute die Möglichkeiten des verleimten Trägers bei Weitem, wie er in der Schau mit einem gekrümmten Exemplar vom Swatch-Bau in Biel von Shigeru Ban (vgl. wbw9/10- 2020, Holzbau) präsent ist. Miteierweile können Kombi-Konstruktionen von Holz und Lehm auch Feuchtigkeit und Wärme speichern. Oder dank eingeleimten Glasfasern lassen sich die Trageigenschaften von Holz verbessern.

Handwerkstraum dank Hochtechnologie

Auch die zentrale Halle der Villa stehe im Bann des Mock-ups: konkret einer parametrisch entworfenen Akustikwand, errichtet mit Formteilen aus Tannenholz. Dieses Beispiel führe vor Augen, dass viele Träume der Archicekmrschaffenden heute nur dank modernster Mittel der Technik wie der CNC-Fräse möglich sind- und nicht dank gerne beschworenen traditionellen Techniken. Das demonstrieren auch die Fotos von Stefan Rappo, einer von drei künstlerischen Beiträgen zur Schau. Der Fotograf nimmt den Wandel der Holzindustrie in den Blick: vom Wald über die Sägerei bis zur Baustelle. Dabei wird klar, dass «die Holzverarbeitung derzeit der modernen Autoindustrie nähersteht als althergebrachtem Handwerk», führt Thomas Hildebrand aus.

Passend angesichts des schnellen Wandels empfängt die Ausstellung im Obergeschoss mir dem Aspekt der Zeitlichkeit. Es brauche Jahre, bis Bäume ausgewachsen sind. Und nie ist man sicher, ob nicht ein Sturm den über Generationen hinweg geprägten Plan innerhalb weniger Stunden zunichte macht. So tritt man mit Demut einem Baumstrunk gegenüber, der 11'000 vor Christi Geburt zu wachsen begann. Auch der Vergleich einer hageren dreihundertjährigen Birke aus Sibirien mit einem gleich dünnen, aber lediglich dreizehnjährigen Exemplar aus der Schweiz ist eindrucksvoll: Bäume versinnbildlichen die Zeitläufe. In einer lnstallation des Künstlers Marcus Maeder kann man diesem langsamen Prozess nachspüren und den Bäumen gewissermassen beim Wachsen zuhören.

Ernüchternde Statistiken

Die Natur der Bäume ist vielfältig wie deren Holz, unser Holzbedarf ist jedoch an Einfältigkeit kaum zu überbieten. Von einem ganzen Berg von Hölzern, die einst in jeder Holzhandelsfirma bereitlagen, sind nur ganz wenige wirklich gefragt - die meisten vergessen. Oder erinnern Sie sich an die Oberfläche oder den Geruch von Kirschholz? Eben. «Fünf Hölzer decken zu 95 Prozent unseren Bedarf», erklärt Hildebrand. Die Rationalisierung der Holzindustrie hat hier ganze Arbeit geleistet.

Zahlenspiele lassen auch im letzten Raum der Schau aufhorchen. Eindrucksvoll aufbereitete Statistiken zeigen, was es bedeutet, wenn man mehr Holz verbauen wollte. Das Diagramm mit dem CO2-Ziel von Netro-Null im Vergleich zu unserem Stand heute ist einigen wohl bereits bekannt. Ein noch grösserer Dämpfer ereilt einen angesichts der Statistik, die zeige, wieviel Holz im Vergleich zu anderen Baumaterialien in der Schweiz genutzt wird. Die Antwort liegt im Mittel bei zehn Prozent (je nach Auftraggeber der Statistik)! Man lernt: In der globalen Bauwirtschaft ist Holz noch ein  Marginalie, der Klimaprimus ein Produkt der Nische, allen Medienberichten zum Trotz. Nimmt man den Holzbedarf ernst, müsste dringend über weitläufige Plantagen, ja gar eine andere Bodenpolitik nachgedacht und damit über ein neues Landschaftsbild in der Schweiz diskutiert werden. Und ein weiterer Aspekt wird klar: Es ergibt keinen Sinn, Holz zu verheizen. Es ist zu hoffen, dass die Ausstellung dazu anregt, auf diese grossen Fragen der Zeit Antworten zu finden.

Unter den Bäumen vor der Villa, auf den Bänken aus Abfallholz und Lehm, gezimmert von Studierenden der Berner Fachhochschule, lässt es sich auf jeden Fall über das Gesehene sinneren: über die Möglichkeiten der Technik und die fehlenden Tannen. Vielleicht tritt dann auch der Film von Thomas Horat wieder in Erinnerung. Er hat den Holzflössern auf eiern Ägerisee ein Portrait gewidmet, und damit einer Technik, die auf der Nordhalbkugel sonst einzig noch in Finnland praktiziert wird. Man schliesst die Augen und stellt sich die rauen Mengen an Baumstämmen vor, die in der Schweiz zur Ernte fehlen, wie sie vor dem Ufer des Zürichsees, dicht an dicht vertäut, vorbeiziehen.