Flexibler Ausstellungsraum in Tokio
AIT – Öffentliche Bauten | 05.2020
Das Gyre Building in Tokio beherbergt neben Modegeschäften und Designläden auch eine kleine öffentliche Kunsthalle. Die sogenannte Gyre Gallery entstand nach Plänen des Züricher Architekten Thomas Hildebrand in Kooperation mit dem japanischen Architekten Yuichi Kodai. Bewegliche Wände machen die vier Galerieräume in unterschiedlichsten Konstellationen nutzbar. Das Highlight ist ein Tageslichtraum, der die umgebende Stadt zum Teil der jeweiligen Ausstellung werden lässt. Thomas Hildebrand stellt uns die Umsetzung vor.
Die Gyre Gallery befindet sich direkt an der legendären Omotesando Street. Sie ist zweifellos die bekannteste Einkaufsstraße Tokios und wird von spektakulären Flagship-Stores großer Modemarken und berühmter Stararchitekten gesäumt. Die hier versammelten Bauten von Herzog & de Meuron (Prada), SANAA (Dior) oder Toyo Ito (Tod’s) gelten allesamt als Ikonen der zeitgenössischen Corporate Architecture. Auch das von MVRDV konzipierte Gyre Building an der Ecke zur Cat Street, das die gleichnamige Galerie beherbergt, ist Teil dieser Reihe, präsentiert sich der Öffentlichkeit allerdings offener und zugänglicher als die benachbarten «Markenhäuser». Die Dynamik des Gebäudes entsteht durch die teilweise nach außen verlagerte Vertikalerschließung. Diese ergibt sich durch die schrittweise Verdrehung der Obergeschosse. Die hierdurch entstehenden Terrassen an den Gebäudeaußenseiten sind über Treppen und Aufzüge miteinander verbunden, wodurch sich letztendlich zwei abgestufte «Terrassenstraßen» ergeben, über die das Gebäude einerseits «erklommen» und andererseits «verlassen» werden kann. Die angedachte Route führt dabei zunächst von der Omotesando entlang der Cat Street nach oben, wodurch beide Straßen aktiviert werden. Durch seine ikonische, skulpturale Figur zieht das Gebäude seine Besucher förmlich von der Straßenebene hinauf in die Höhe. Wichtig war den Architekten von MVRDV dabei, dass das Gebäude aus der Entfernung als eigenständiges Objekt wahrgenommen wird, gleichzeitig aber auch die einzelnen Geschäfte im Inneren sowie entlang der «Terrassenstraßen» als separate Einheiten erkannt werden können.
Räumlich zirkularer Ausstellungsrundgang
Inhaltlich getragen wird das Gyre Building vom Konzept «Shop and Think». Architektur, Mode, Kunst, Design und Esskultur sollen hier ineinandergreifen; Kultur und Kommerz miteinander verschmelzen; und letztlich soll eine neue aufregende Form des Einkaufens entstehen. Das Auflösen und Überschreiten von Grenzen deckt sich dabei auch mit der Philosophie des Architekturbüros Hildebrand. Auch wir gestalten offene, flexible und inspirierende Architektur, die Raum für Kreativität schafft. Unser Konzept für die Gyre Gallery leitet sich vom englischen Begriff Gyre – zu deutsch: Rotation, Drehung, Wirbel – ab. So verbindet eine kreisförmige Bewegung die vier Ausstellungsräume: Eingangs-, Übersichts-, Installations- und Tageslichtgalerie. Jeder der Räume ist in Größe und Proportion unterschiedlich. Der räumlich zirkulare Rundgang ermöglicht den Gästen eine bereichernde Erfahrung. Der Galerieraum für Installationen befindet sich im Zentrum der Ausstellungsräume und dient den ausstellenden Künstlern als Herzstück für die Präsentation ihrer wichtigsten Arbeiten. An diesen zentralen Raum schließt sich die sogenannte Tageslichtgalerie an. Sie bietet den Künstlern bei Bedarf die seltene Möglichkeit, in lichtdurchfluteter Atmosphäre zu arbeiten und den Ausblick auf die umgebende Stadt in ihre Installationen zu integrieren. Der entsprechende Raum kann allerdings auch in einem zweiten, nach innen orientierten Setup genutzt werden. Eine 800 Kilogramm schwere Schiebewand wird dann vor die Fensterfläche gefahren und kann als zusätzliche Präsentationswand genutzt werden. Die Wand hat eine Größe von 9,3 mal 3,5 Metern und wird nur wenige Male im Jahr verschoben. Auch die Art, wie sich die Besucher durch die Galerie bewegen, kann durch weitere bewegliche Wände variiert und die Räume dadurch in unterschiedlichsten Sequenzen miteinander verbunden werden. Je nach Stellung einer 3,5 Meter hohen und 1,2 Meter breiten Schaukelwand öffnet sich beim Betreten der Galerie etwa die Sicht in Richtung Tageslichtgalerie, oder aber der Eingangsbereich wird zum abgeschlossenen Foyer.
Ausstellungsraum mit lichtdurchfluteter Atmosphäre
Die Decken der Galerieräume bestehen aus 15 Millimeter starken Gipskartonplatten mit einem Lack-Finish. Die teilweise integrierten Barrisol-Spanndecken nehmen einerseits eine dimmbare LED-Beleuchtung auf, die unterschiedliche Lichtatmosphären erlaubt, und dienen anderseits der Belüftung. Letztere ist durch zwei vertiefte Schlitze zu erkennen – einer für die Belüftungsversorgung, der andere für den Abzug. Zudem dient der gesamte Deckenhohlraum als Belüftungsraum. Der Fußboden wiederum wird aus einer von Hand aufgetragenen, drei Millimeter starken Schicht Epoxidharzmörtel gebildet. Er verhindert die Entstehung großer Risse auf dem Boden. Dazu kommen noch zwei Schichten Staubschutzmittel. Die herausforderndste Aufgabe im Projekt war jedoch die Fertigung einer perfekt zirkularen Säule im Tageslicht-Raum. Die bestehende Stütze wurde mit insgesamt acht Putzschichten überarbeitet, um wirklich jede Unebenheit auf der Oberfläche auszugleichen. Die Galerie zeigt heute alle Arten von Kunst, die die aktuellen Trends, Ideologien und Ausdrucksformen unserer heutigen Gesellschaft widerspiegeln. Die Gyre Gallery ist damit auf dem Weg, sich zu einem Ausstellungsraum zu entwickeln, der einen wichtigen Beitrag zur Kultur und Kreativität der Stadt liefert.